Zur DAX-Reform
Der Deutsche Aktienindex – DAX steht vor seiner umfassendsten Reform seit über 18 Jahren. Damals wurde die Gewichtung vom Festbesitz auf den Streubesitz umgestellt. Und seit 2003 müssen alle Unternehmen der Auswahlindizes im Prime Standard notiert sein. Eben diese Anforderung wird nun geändert. Jetzt reicht der Handel im Regulierten Markt.
Der DAX erhält dadurch einen internationalen Anstrich. Die Airbus SE domiziliert in Leiden (NL) und hat ihre Konzernzentrale in Toulouse (F). Die Qiagen Naamlose Vennootschap sitzt in Venlo (NL). Und der nach wie vor größte DAX-Wert ist ein Gründungs-Mitglied: Linde firmiert als Public Limited Company, hat seinen Sitz in Dublin, die operative Zentrale in Guildford (UK), zahlt die Dividende vierteljährlich in Dollar und gilt seit der Fusion mit Praxair als amerikanisches Unternehmen. Alle drei nehmen 15 Prozent in unserem Leitindex ein, der als Deutscher eingetragen ist. Kurz: Im Deutschen Aktienindex ist nicht mehr genau das drin was draufsteht. Ein Winzer würde es nicht wagen, einen Weltverschnitt als deutschen Wein zu etikettieren.
Andererseits vermisst man im DAX die BioNTec SE, Mainz, die seit 2019 an der Nasdaq gelistet ist. Vielleicht lässt sich Ugur Sahin ja ermuntern, sein Unternehmen auch in Frankfurt einzuführen. Mit einem Streubesitz von über 20 Mrd. Euro wäre ihm ein Platz im DAX sicher.
Ich hatte 1981 im (Vorläufer-) Index die Zahl der Titel auf 30 erhöht und nicht geahnt, dass diese Entscheidung 40 Jahre lang Bestand haben würde. Die zehn neuen Werte bringen nun einen Streubesitz von rund 200 Mrd. Euro mit und erhöhen die Kapitalisierung des DAX um beachtliche 16,5% – doppelt so viel, wie noch im letzten Jahr erwartet wurde. Allerdings ist nur Airbus von Bedeutung; die übrigen neun Gesellschaften haben lediglich marginalen Einfluss. Von den 40 DAX-Werten haben elf ein Gewicht von weniger als einem Prozent. Da hätte man auch gleich bei 30 Titeln bleiben können. Immerhin: Die Gewichtung hat diesmal auf Anhieb gepasst, ohne dass die Kappungsgrenze bemüht werden musste.
Ob der DAX40 künftig besser performt als ein DAX30, weiß heute niemand. Das ist auch kein Kriterium. Hier werden häufig die Bemühungen der Index-Entwickler um einen neutralen, objektiven Maßstab verwechselt mit dem Ehrgeiz aktiver Portfolio Manager, einen Index durch ihre subjektive Auswahl zu übertreffen. In den Index kommen die größten AG’s und nicht die mit den besten Aussichten, den niedrigsten Bewertungen oder aus den originellsten Branchen.
Dagegen sind zwei Effekte heute schon sicher. Der DAX wird instabiler, unruhiger. Öfter als bisher werden Titelmutationen notwendig. In weiser Voraussicht haben deshalb die Indexeure vorgesehen, die DAX-Zusammensetzung künftig zweimal im Jahr zu überprüfen. Die Auswirkung auf die Volatilität wird hingegen im Promille-Bereich liegen.
Die PR-Abteilung feiert die DAX-Reform als Verjüngungskur. In der Tat sind die bisherigen DAX-AG’s im Schnitt doppelt so alt wie die zehn Neulinge. Aber was ist das für ein Kriterium? Würde der DAX besser, wenn man die ältesten Unternehmen (Siemens, Merck, Bayer, BASF) durch jüngere ersetzt? Ob der DAX „bunter“ wird, will ich hier nicht erörtern.
Leidtragender der DAX-Reform ist der MDAX. Die Amputation der größten Gesellschaften macht ihn zum Krüppel. Er ist nicht dadurch zu retten, indem man ihn mit dem SDAX fusioniert. Auch hier wäre eine Mindestliquidität vorzugeben, weil sehr viele Aktien für die institutionelle Kapitalanlage nicht investierbar sind. Bisher galt der MDAX aufstrebenden Unternehmen als Sprungbrett in die erste Liga und er entledigt sich dieser Aufgabe glänzend – wie wir gerade sehen. Er wird künftig einen zunehmend musealen Charakter annehmen als Auffangbecken abgestiegener DAX-Werte: Beiersdorf, Commerzbank, K+S, Lanxess, Lufthansa, ProSiebenSAT.1, ThyssenKrupp und viele, die noch folgen.
Im Reglement bleibt die Öffnung des DAX für ausländische Unternehmen fragwürdig. Begrüßenswert sind einige stringente qualitative Anforderungen. Hier ist allerdings die Asymmetrie bei den Gewinnausweisen schwer zu vermitteln. Wer in den DAX hinein will (wie Hellofresh), muss schwarze Zahlen zeigen, wer drin ist (wie Delivery Hero), darf rote schreiben.
Die DAX-Reform hat ein erfreulich lebhaftes Medien-Echo ausgelöst und ist überwiegend positiv kommentiert worden. Einige Beobachter versprechen sich davon wahre Wunder. Sie werden enttäuscht sein, wenn sie feststellen, dass sich der neue DAX kaum anders benimmt als der alte.
Königswinter, am 6. September 2021
Frank Mella